Dritte Szene
Leonatos Garten
Benedikt und ein Page treten auf
Benedikt.
Höre!
Page.
Signor?
Benedikt.
In meinem Kammerfenster liegt ein Buch, bringe mir das hieher
in den Garten.
Page.
Ich bin schon hier, gnädiger Herr.
Benedikt.
Das weiß ich, aber ich will dich fort haben und hernach
wieder hier. (Page geht.) Ich wundre mich doch außerordentlich,
wie ein Mann, der sieht, wie ein anderer zum Narren wird, wenn
er seine Gebärden der Liebe widmet, doch, nachdem er solche
läppischen Torheiten an jenem verspottet, sich zum Gegenstand
seiner eignen Verachtung macht, indem er sich selbst verliebt:
und solch ein Mann ist Claudio. Ich weiß die Zeit, da ihm
keine Musik recht war, als Trommel und Querpfeife, und nun hörte
er lieber Tamburin und Flöte. Ich weiß die Zeit, wo
er fünf Stunden zu Fuß gelaufen wäre, um eine
gute Rüstung zu sehn, und jetzt könnte er fünf
Nächte ohne Schlaf zubringen, um den Schnitt eines neuen
Wamses zu ersinnen. Sonst sprach er schlicht vom Munde weg, wie
ein ehrlicher Junge und ein guter Soldat; nun ist er ein Wortdrechsler
geworden, seine Rede ist wie ein phantastisch besetztes Bankett,
ebensoviel kurioses, seltsames Konfekt. - Sollt ich jemals
so verwandelt werden können, solange ich noch aus diesen
Augen sehe? Wer weiß: - Ich glaube es nicht. Ich will nicht
darauf schwören, daß mich die Liebe nicht in eine Auster
verwandeln könne; aber darauf möchte ich doch einen
Eid ablegen, daß sie mich vorher erst in eine Auster verwandelt
haben muß, eh sie einen solchen Narren aus mir machen soll.
Dieses Mädchen ist schön, das tut mir noch nichts; ein
andres hat Verstand, das tut mir auch nichts; eine dritte ist
tugendhaft, das tut mir immer noch nichts: und bis nicht alle
Vorzüge sich in einem Mädchen vereinigen, soll kein
Mädchen bei mir einen Vorzug haben. Reich muß sie sein,
das ist ausgemacht; verständig, oder ich mag sie nicht; tugendhaft,
oder ich biete gar nicht auf sie; schön, oder ich sehe sie
nicht an; sanft, oder sie soll mir nicht nahe kommen; edel, oder
ich nehme sie nicht, und gäbe man mir noch einen Engel zu;
angenehm in ihrer Unterhaltung, vollkommen in der Musik: und wenn
sie das alles ist, so mag ihr Haar eine Farbe haben, wie es Gott
gefällt. Ach! da kommen der Prinz und unser Amoroso. Ich
will mich in die Laube verstecken. (Geht beiseite.)
Don Pedro, Leonato und Claudio kommen.
Don Pedro.
Gefällt's Euch jetzt, das Lied zu hören?
Claudio.
Ja, teurer Herr. - Wie still der Abend ist,
Wie schlummernd, daß Musik noch süßer töne! -
Don Pedro.
Seht Ihr, wie Benedikt sich dort versteckt?
Claudio.
Jawohl, mein Fürst. Wenn der Gesang beendigt,
Soll unser Füchslein gleich sein Teil erhalten.
Balthasar mit Musik kommt.
Don Pedro.
Kommt, Balthasar, singt das Gedicht noch einmal.
Balthasar.
Mein Fürst, verlangt nicht von so rauher Stimme,
Zum zweitenmal dies Lied Euch zu verderben.
Don Pedro.
Stets war's ein Merkmal der Vortrefflichkeit,
Durch Larve die Vollendung zu entstellen: -
Ich bitt dich sing, laß mich nicht länger werben.
Balthasar.
Weil Ihr von Werbung sprecht, so will ich singen,
Denn oft beginnt sein Werben ein Galan,
Wo 's ihm der Müh nicht wert scheint: dennoch wirbt er
Und schwört, er sei verliebt.
Don Pedro.
Nun bitt ich, singe,
Und willst du erst noch länger präludieren,
So tu's in Noten.
Balthasar.
Welche Not! die Noten
Sind der Notiz nicht wert, notiert Euch das.
Don Pedro.
Das nenn ich drei gestrichne Noten mir,
Not, Noten und Notiz!
(Musik)
Benedikt.
Nun, divina musica. Nun ist seine Seele in Verzückung!
Ist es nicht seltsam, daß Schafdärme die Seele aus
eines Menschen Leibe ziehn können? Nun, im Ernst, eine Hornmusik
wäre mir lieber.
Lied.
Klagt, Mädchen, klagt nicht Ach und Weh,
Kein Mann bewahrt die Treue,
Am Ufer halb, halb schon zur See
Reizt, lockt sie nur das Neue.
Weint keine Trän und laßt sie gehn,
Seid froh und guter Dinge,
Daß statt der Klag und dem Gestöhn
Juchheisasa erklinge.
Singt nicht Balladen trüb und bleich,
In Trauermelodien:
Der Männer Trug war immer gleich
Seitdem die Schwalben ziehen.
Weint keine Trän usw.
|
Don Pedro.
Auf meine Ehre, ein hübsches Lied.
Balthasar.
Und ein schlechter Sänger, gnädiger Herr.
Don Pedro.
Wie? O nein doch, du singst gut genug für den Notbehelf.
Benedikt (beiseite).
Wär's ein Hund gewesen, der so geheult hätte, sie
hätten ihn aufgehängt. Nun, Gott gebe, daß seine
heisre Stimme kein Unglück bedeute! - Ich hätte ebenso
gern den Nachtraben gehört, wäre auch alles erdenkliche
Unglück danach erfolgt.
Don Pedro (zu Claudio).
Ja, Ihr habt recht. - Höre, Balthasar! Schaffe uns eine
recht ausgesuchte Musik; morgen abend soll sie unter Fräulein
Heros Fenstern spielen.
Balthasar.
Die beste, die ich finden kann, gnädiger Herr.
(Ab mit den Musikern.)
Don Pedro.
Schön; - jetzt laß uns. - Kommt, Leonato, was erzähltet
Ihr mir doch vorhin? Daß Eure Nichte Beatrice in Benedikt
verliebt sei?
Claudio (beiseite).
O nur zu, nur zu, der Vogel sitzt. (Laut.) Ich hätte
nie geglaubt, daß das Fräulein einen Mann lieben könnte.
Leonato.
Ich ebensowenig. Aber das ist eben das Wunderbarste, daß
sie grade für den Benedikt schwärmt, den sie dem äußern
Schein nach bisher verabscheute.
Benedikt.
Ist's möglich? bläst der Wind aus der Ecke?
Leonato.
Auf mein Wort, gnädiger Herr, ich weiß nicht, was
ich davon denken soll. Aber sie liebt ihn mit einer rasenden Leidenschaft,
es geht über alle Grenzen der Vorstellung.
Don Pedro.
Vielleicht ist's nur Verstellung.
Claudio.
Das möcht ich auch glauben.
Leonato.
O Gott, Verstellung? Es ist wohl noch nie eine verstellte
Leidenschaft der lebendigen Leidenschaft so nahe gekommen, als
sich's an ihr äußert.
Don Pedro.
Nun, und welche Symptome der Leidenschaft zeigt sie denn?
Claudio (leise).
Jetzt ködert den Hamen, dieser Fisch wird anbeißen.
Leonato.
Welche Symptome, gnädiger Herr? Sie sitzt Euch da,...
nun, meine Tochter sagte Euch ja, wie.
Claudio.
Ja, das tat sie.
Don Pedro.
Wie denn? Wie? Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich hätte
immer gedacht, ihr Herz sei ganz unempfindlich gegen alle Angriffe
der Liebe.
Leonato.
Darauf hätte ich auch geschworen, mein Fürst, und
besonders gegen Benedikt.
Benedikt (beiseite).
Ich hielte es für eine Prellerei, wenn's der weißbärtige
Kerl nicht sagte. Spitzbüberei, meiner Seele, kann sich doch
nicht hinter solcher Ehrwürdigkeit verbergen.
Claudio (beiseite).
Jetzt hat's gefaßt, nur immer weiter.
Don Pedro.
Hat sie Benedikt ihre Neigung zu erkennen gegeben?
Leonato.
Nein, sie schwört auch, dies nie zu tun: das ist eben
ihre Qual.
Claudio.
Jawohl, darin liegt's. Das sagte mir auch Eure Tochter; «Soll
ich», sagte sie, «die ich ihm sooft mit Spott begegnet,
ihm jetzt schreiben, daß ich ihn liebe?»
Leonato.
Das sagt sie, wenn sie grade einen Brief an ihn angefangen
hat. Denn sie steht wohl zwanzigmal in der Nacht auf, und da sitzt
sie dann in ihrem Nachtkleide und schreibt ganze Seiten voll -
meine Tochter sagt uns alles. - - Und nachher zerreißt sie
den Brief in tausend Hellerstückchen, zankt mit sich selbst,
daß sie sowenig Zurückhaltung besitze, an jemand zu
schreiben, von dem sie's doch wisse, er werde sie verhöhnen:
«Ich beurteile ihn», sagt sie, «nach meiner eigenen
Sinnesart, denn ich würde ihn verhöhnen, wenn er mir
schriebe; ja, wie sehr ich ihn liebe, ich tät es doch».
Claudio.
Dann nieder auf die Knie stürzt sie, weint, seufzt, schlägt
sich an die Brust, zerrauft ihr Haar, betet, flucht: «O süßer
Benedikt! Gott schenke mir Geduld!»
Leonato.
Freilich, das tut sie, das sagt mir meine Tochter, ja, sie
ist so außer sich in ihrer Ekstase, daß meine Tochter
zuweilen fürchtet, sie möchte in der Verzweiflung sich
ein Leids tun: das ist nur zu wahr.
Don Pedro.
Es wäre doch gut, wenn Benedikt es durch jemand anders
erführe, da sie es ihm nun einmal nicht entdecken wird.
Claudio.
Wozu? Er würde doch nur Scherz damit treiben und das
arme Fräulein dafür ärger quälen.
Don Pedro.
Wenn er das täte, so wär's ein gutes Werk, ihn zu
hängen. Sie ist ein vortreffliches, liebes Fräulein
und ihr guter Ruf über allen Verdacht erhaben.
Claudio.
Dabei ist sie ausgezeichnet verständig.
Don Pedro.
In allen andern Dingen, nur nicht darin, daß sie den
Benedikt liebt.
Leonato.
O gnädiger Herr! wenn Verstand und Leidenschaft in einem
so zarten Wesen miteinander kämpfen, so haben wir zehn Beispiele
für eines, daß die Leidenschaft den Sieg davonträgt.
Es tut mir leid um sie, und ich habe die gerechteste Ursache dazu,
da ich ihr Oheim und Vormund bin.
Don Pedro.
Ich wollte, sie hätte diese Entzückungen mir gegönnt;
ich hätte alle andern Rücksichten abgetan und sie zu
meiner Hälfte gemacht. Ich bitte Euch, sagt doch dem Benedikt
von der Sache und hört, was er erwidern wird.
Leonato.
Meint Ihr wirklich, daß es gut wäre?
Claudio.
Hero ist überzeugt, es werde ihr Tod sein; denn sie sagt,
sie sterbe, wenn er sie nicht wiederliebe, und sie sterbe auch
lieber, als daß sie ihm ihre Liebe entdecke; und wenn er
sich wirklich um sie bewirbt, so wird sie eher sterben wollen,
als das Geringste von ihrem gewohnten Widerspruchsgeist aufgeben.
Don Pedro.
Sie hat ganz recht; wenn sie ihm ihre Neigung merken ließe,
so wär's sehr möglich, daß er sie nur verlachte.
Der Mann hat, wie ihr alle wißt, eine sehr übermütige
Gesinnung.
Claudio.
Er ist sonst ein feiner Mann.
Don Pedro.
Er hat allerdings eine recht glückliche äußere
Bildung.
Claudio.
Ganz gewiß, und wie mich dünkt, auch viel Verstand.
Don Pedro.
Es zeigen sich in der Tat mitunter Funken an ihm, welche wie
Witz aussehn.
Leonato.
Und ich halte ihn auch für tapfer.
Don Pedro.
Wie Hektor, das versichre ich Euch; und nach der Art, wie
er mit Händeln umzugehn versteht, muß man auch einräumen,
daß er Klugheit besitzt. Denn entweder weicht er ihnen mit
großer Vorsicht aus, oder er unterzieht sich ihnen mit einer
christlichen Furcht.
Leonato.
Wenn er Gott fürchtet, so muß er notwendig Frieden
halten. Wenn er den Frieden bricht, kann's nicht anders sein,
als daß er seine Händel mit Furcht und Zittern anfängt.
Don Pedro.
Und so ist es auch. Denn der Mann fürchtet Gott, obgleich
nach seinen derben Späßen kein Mensch das von ihm glauben
sollte. Mit alledem dauert mich Eure Nichte. Wollen wir gehn und
Benedikt aufsuchen und ihm von ihrer Liebe sagen?
Claudio.
Nimmermehr, gnädigster Herr. Diese Schwachheit wird endlich
verständigem Rate weichen.
Leonato.
Ach, das ist unmöglich. Eher wird ihr Leben von ihr weichen.
Don Pedro.
Nun, wir wollen hören, was Eure Tochter weiter davon
sagt, und sich's indes verkühlen lassen. Ich halte viel auf
Benedikt und wünsche sehr, er möchte sich einmal mit
aller Bescheidenheit prüfen und einsehn, wie wenig er eine
so treffliche Dame zu besitzen verdient.
Leonato.
Wollen wir gehn, mein Fürst? Das Mittagessen wird fertig
sein.
Claudio (beiseite).
Wenn er sich hierauf nicht sterblich in sie verliebt, so will
ich nie wieder einer Wahrscheinlichkeit trauen.
Don Pedro (beiseite).
Man muß jetzt das nämliche Netz für sie aufstellen,
und das laßt Eure Tochter und ihre Kammerfrau übernehmen.
Der Spaß wird sein, wenn jeder von ihnen sich von der Leidenschaft
des andern überzeugt hält, und ohne allen Grund. Das
ist die Szene, die ich sehen möchte: es wird eine wahre Pantomime
sein. Wir wollen sie abschicken, um ihn zu Tische zu rufen.
(Don Pedro, Claudio und Leonato ab.)
Benedikt (tritt hervor).
Das kann keine Schelmerei sein; das Gespräch war zu ernsthaft.
Sie haben die Gewißheit der Sache von Hero; sie scheinen
das Fräulein zu bedauern: es scheint, ihre Leidenschaft hat
die höchste Spannung erreicht. - In mich verliebt? Oh, das
muß erwidert werden. Ich höre, wie man von mir denkt:
sie sagen, ich werde mich stolz gebärden, wenn ich merke,
wie sie mich liebt. Sie sagen ferner, sie werde eher sterben,
als irgendein Zeichen ihrer Neigung geben. Ich dachte, nie zu
heiraten; aber man soll mich nicht für stolz halten. Glücklich
sind, die erfahren, was man an ihnen aussetzt, und sich danach
bessern können. Sie sagen, das Fräulein sei schön;
ja, das ist eine Wahrheit, die ich bezeugen kann; und tugendhaft:
- allerdings, ich kann nichts dawider sagen; - und verständig,
ausgenommen, daß sie in mich verliebt sei: - nun - meiner
Treu, das ist eben kein Zuwachs ihrer Verständigkeit, aber
doch kein großer Beweis ihrer Torheit, denn ich will mich
entsetzlich wieder in sie verlieben. - Ich wage es freilich drauf,
daß man mir etliche alberne Späße und Witzbrocken
zuwirft, weil ich selbst so lange über das Heiraten geschmält
habe; aber kann sich der Geschmack nicht ändern? Es liebt
einer in seiner Jugend ein Gericht, das er im Alter nicht ausstehn
kann - sollen wir uns durch Sticheleien und Sentenzen und derlei
papierene Kugeln des Gehirns aus der rechten Bahn unsrer Laune
schrecken lassen? Nein, die Welt muß bevölkert werden.
Als ich sagte, ich wolle als Junggeselle sterben, dacht ich es
nicht zu erleben, daß ich noch eine Frau nehmen würde.
Da kommt Beatrice. Beim Sonnenlicht, sie ist schön! ich erspähe
schon einige Zeichen der Liebe an ihr.
Beatrice kommt.
Beatrice.
Wider meinen Willen hat man mich abgeschickt, Euch zu Tische
zu rufen.
Benedikt.
Schöne Beatrice, ich danke Euch für Eure Mühe.
Beatrice.
Ich gab mir nicht mehr Mühe, diesen Dank zu verdienen,
als Ihr Euch bemüht, mir zu danken. Wär es mühsam
gewesen, so wär ich nicht gekommen.
Benedikt.
Die Bestellung machte Euch also Vergnügen?
Beatrice.
Ja, grade soviel, als Ihr auf einer Messerspitze nehmen könnt,
um's einer Dohle beizubringen. Ihr habt wohl keinen Appetit, Signor?
So gehabt Euch wohl. (Ab.)
Benedikt.
Ah, «wider meinen Willen hat man mich abgeschickt, Euch
zu Tische zu rufen!» Das kann zweierlei bedeuten: «es
kostete mich nicht mehr Mühe, diesen Dank zu verdienen, als
Ihr Euch bemüht, mir zu danken»: das heißt soviel
als: jede Mühe, die ich für Euch unternehme, ist so
leicht als ein Dank. Wenn ich nicht Mitleid für sie fühle,
so bin ich ein Schurke; wenn ich sie nicht liebe, so bin ich ein
Jude. Ich will gleich gehn und mir ihr Bildnis verschaffen. (Ab.)
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