Zweyte Scene.
Peter und Isabella zu den Vorigen.
Peter zu Isabella.
Izt ist eure Zeit: Redet laut, und kniet vor ihm.
Isabella.
Gerechtigkeit, Gnädigster Herr; werfet euern Blik auf eine
unglükliche, mißhandelte - - Schier hätte ich
gesagt, Jungfrau:
O, würdiger Fürst, entehret euer Auge nicht, es auf
einen andern Gegenstand zu richten, bevor ihr meine gerechten
Klagen angehört, und mir Recht verschaft habt.
Herzog.
Was für Unrecht ist euch dann geschehen, worinn? von wem?
macht es kurz; hier ist der Freyherr Angelo, der euch Recht schaffen
wird; eröffnet euch ihm.
Isabella.
O mein Gnädigster Herr! Ihr befehlet mir, Erlösung bey
dem Teufel zu suchen. Höret mich selbst an, denn das was
ich zu sagen habe, muß entweder mich straffen, wenn ich
keinen Glauben finde, oder euch Rache abnöthigen; o, höret
mich, höret mich.
Angelo.
Gnädigster Herr, ich besorge, sie ist nicht recht bey Vernunft;
sie hat eine vergebliche Fürbitte für ihren Bruder bey
mir eingelegt, der nach dem Lauf der Gerechtigkeit den Kopf verlohren
hat.
Isabella.
Lauf der Gerechtigkeit!
Angelo.
Und izt wird sie in ihrer Verbitterung seltsame Reden ausstossen.
Isabella.
Höchst seltsame; aber nur allzuwahr ist es, was ich sagen
werde; daß Angelo ein meyneydiger Mann ist, ist das nicht
seltsam? daß Angelo ein Mörder ist, ist das nicht seltsam?
daß Angelo ein ehebrechrischer Räuber, ein Heuchler,
ein Jungfrauen-Schänder ist? ist das nicht seltsam, und abermal
seltsam?
Herzog.
In der That, es ist zehenmal seltsam.
Isabella.
Und doch ist es nicht wahrer, daß er Angelo ist, als daß
alles dieses so wahr ist, als es seltsam ist; ja, es ist zehenmal
wahrer; denn Wahrheit ist am Schluß allemal Wahrheit.
Herzog.
Schaft sie hinweg, die arme Seele; sie sagt das in der Verrükung
ihres Gehirns.
Isabella.
O Fürst ich beschwöhre dich, wenn du anders glaubest
daß noch ein andrer Trost ist als diese Welt, verachte mich
nicht, in der Meynung, daß ich nicht bey gesunder Vernunft
sey. Mache nicht unmöglich, was nur unbegreiflich scheint;
es ist nicht unmöglich, daß der ärgste Bube im
Herzen von aussen so spröde, so ernsthaft, so gerecht, so
unsträflich scheinen kan, als Angelo; gleichergestalt kan
Angelo, mit allen seinen Masken, Charactern, Titeln und Anscheinungen,
doch nur ein Erz-Bösewicht seyn; Glaubet mir, gnädigster
Herr, er ist es; wenn er weniger ist, so ist er gar nichts; aber
er ist mehr, wenn ich Namen für seine Boßheit hätte.
Herzog.
Bey meiner Ehre, wenn sie unsinnig ist, wie ich nicht anders glaube,
so hat doch ihr Unsinn die seltsamste Gestalt von Vernunft; so
viel Zusammenhang in allem was sie spricht, als ich jemals in
den Reden eines Wahnwizigen gehört habe.
Isabella.
Gnädigster Herr, bleibet doch nicht immer auf dieser Einbildung;
verwerfet die Vernunft nicht, weil sie unwahrscheinliche Dinge
sagt; sondern bedient euch der eurigen, die Wahrheit ans Licht
zu ziehen, wo sie verborgen scheint, anstatt den Irrthum zu verbergen,
weil er Wahrheit scheint.
Herzog.
Manche, die nicht wahnwizig sind, haben, wahrhaftig, weniger Vernunft
- - Was wollt ihr dann sagen?
Isabella.
Ich bin die Schwester eines gewissen Claudio, der wegen der Sünde
der Hurerey verurtheilt wurde, den Kopf zu verliehren; Angelo
war es, der ihn verurtheilte: Ich, die im Begriff bin meine Probzeit
in einem Kloster zu vollenden, wurde von meinem Bruder zu ihm
geschikt; ein gewisser Lucio, von dem ich die Nachricht hatte - -
Lucio.
Das bin ich, mit Euer Durchlaucht Erlaubniß; Claudio hatte
mich zu ihr geschikt, um sie zu bewegen, daß sie versuchen
sollte, durch ihre rührende Fürbitte die Begnadigung
ihres Bruders auszuwürken.
Isabella.
Er ist es, in der That.
Herzog zu Lucio.
Man hat euch nicht befohlen zu reden.
Lucio.
Nein, Gnädigster Herr, noch gewünscht daß ich
schweigen möchte.
Herzog.
Ich wünsch euch's also izt; seyd so gut und merkt euch das;
und wenn ihr Gelegenheit bekommt für euch selbst zu sprechen,
so bittet den Himmel, daß ihr alsdenn nicht verstummen möget.
Lucio.
Dafür steh' ich Euer Gnaden.
Herzog.
Es wird sich zeigen.
Isabella.
Dieser Edelmann erzählte etwas von meiner Geschichte.
Lucio.
So ists.
Herzog.
Es mag so seyn, aber ihr sollt nicht eher reden bis die Reyhe
an euch kommt. Weiter!
Isabella.
Ich gieng also zu diesem verderblichen gottlosen Stadthalter.
Herzog.
Das ist ein wenig wahnwizig gesprochen.
Isabella.
Vergebet mir, der Ausdruk ist der Materie gemäß.
Herzog.
Wieder verbessert - - der Materie - - Nur weiter.
Isabella.
Kurz, um die unnöthigen Umstände zu übergehen,
wie viel Vorstellungen ich ihm gemacht, wie sehr ich gebeten,
wie ich ihm zu Fusse gefallen, was er mir entgegengesezt, und
wie ich ihm geantwortet, denn dieses daurte sehr lang - - ich
will den Anfang damit machen, womit dieser Auftritt sich beschloß,
wenn ich es anders vor Schmerz und Schaam heraussagen kan. Er
beharrte darauf, daß er meinen Bruder unter keiner andern
Bedingung losgeben wollte, als wenn ich meinen jungfräulichen
Leib seiner unkeuschen Begierde überlassen würde; und
nach vielem Wortwechsel übertäubte endlich das schwesterliche
Mitleiden die Stimme der Ehre, und ich gab nach: Aber den folgenden
Morgen früh, nachdem er seinen Zwek erhalten hatte, schikt'
er Befehl, daß meinem Bruder der Kopf abgeschlagen werden
sollte.
Herzog (spöttisch.)
Das ist sehr wahrscheinlich!
Isabella.
O möcht es so scheinbar* seyn, als es wahr ist.
Herzog.
Beym Himmel, du wahnwiziger Tropf, du weist nicht was du sprichst,
oder du bist durch boshafte Künste gegen seine Ehre aufgestiftet
worden. Fürs erste, so ist er ein Mann, dessen Tugend ausser
Zweifel ist. Zweytens ist es wider alle Vernunft, daß er
eine Vergehung, deren er sich selbst schuldig gemacht, so hart
an einem andern gestraft haben sollte; hätte er sich so vergangen,
so würde er deinen Bruder nach sich selbst gemessen, und
ihm seinen Kopf gelassen haben. Ihr seyd von jemand aufgestiftet
worden; Gesteht die Wahrheit, und sagt, auf wessen Anrathen habt
ihr diese Anklage hier vorgebracht?
Isabella.
Und ist das alles? O dann, so verleihet mir Geduld, ihr Heiligen
dort oben! und entdeket zu seiner Zeit die Uebelthat, die hier
in partheyische Gunst eingehüllet wird! Der Himmel bewahre
Euer Durchlaucht so gewiß vor Unfall, als es wahr ist, daß
ich das Unrecht erlitten habe, ob ich gleich keinen Glauben finde.
Herzog.
Das glaube ich, daß ihr gerne davon gehen möchtet.
Einen Stadtbedienten, ins Gefängnis mit ihr. Sollten wir
gestatten, daß eine Person die uns so nahe ist, ungestraft
so ärgerlich angeschmizt werden dürfte? Das muß
nothwendig eine angestellte Sache seyn. Wer weiß mit von
euerm Vorhaben und Hieherkommen?
Isabella.
Einer den ich gerne hieher wünschen möchte, der Pater
Ludewig.
Herzog.
Ein Ordensmann, wie es scheint; wer kennt diesen Ludewig?
Lucio.
Gnädigster Herr, ich kenn' ihn; es ist ein Mönch, der
seine Nase in alles stekt, ich kan ihn nicht leiden; wär
er ein Lay gewesen, Gnädigster Herr, ich wollte ihn wegen
einiger Reden, die er wider Euer Durchlaucht, in Dero Abwesenheit
ausgestossen hat, abgeschmiert haben, daß er es gefühlt
hätte.
Herzog.
Reden wider mich? Das ist ein feiner Ordensmann, dem Ansehen nach;
und dieses unglükliche Weibsbild wider unsern Stadthalter
aufzustiften! Laßt diesen Mönchen aufsuchen.
Lucio.
Erst noch in verwichner Nacht, traf ich sie und diesen Mönch
im Gefängniß bey einander an; eine unverschämte
Kutte, wie gesagt, ein recht boshafter Geselle.
Peter.
Mit Euer Durchlaucht gnädigster Erlaubniß, ich stand
dabey, und ich hörte genug um zu sehen, wie sehr euer königliches
Ohr mißbraucht wird. Fürs erste; so hat dieses Weibsbild
euern Stadthalter höchst frefelhafter Weise angeklagt; er
ist so rein von einiger Besudlung mit ihr, als sie von einem,
der noch nicht gebohren ist.
Herzog.
Ich glaube auch nichts anders. Kennt ihr diesen Pater Ludewig,
von dem sie spricht?
Peter.
Ich kenn ihn als einen heiligen Mann; nicht boshaft, nicht fürwizig
sich in zeitliche Dinge einzumischen, wie dieser Edelmann gesagt
hat; und ein Mann, bey meiner Treue, der niemals, wie er vorgiebt,
von Euer Durchlaucht ungebührlich gesprochen hat.
Lucio.
Gnädigster Herr, auf eine ganz infame Art; glaubet mir.
Peter.
Gut; er kan noch zeitig genug kommen sich zu rechtfertigen; aber
in diesem Augenblik, Gnädigster Herr, ist er an einem wunderbaren
Fieber krank. Bloß auf sein Bitten (da es bekannt wurde,
daß hier eine Klage wieder den Freyherrn Angelo angestellt
werden sollte) bin ich hieher gekommen, um aus seinem Munde zu
sagen, was er von der Sache weiß, und was er, wenn er vorgeladen
werden sollte, mit seinem Eyde zu bekräftigen im Stand ist.
Was anforderst dieses Weibsbild betrift, so sollt ihr, zur Rechtfertigung
dieses würdigen Herrn, der auf eine so öffentliche und
persönliche Art von ihr beschimpft wird, hören wie sie
vor euern Augen dergestalt wird überwiesen werden, daß
sie es selbst wird eingestehen müssen.
Herzog.
Mein guter Pater; laßt's uns hören. Lächelt ihr
nicht über diese Begebenheiten, Angelo? Himmel! Was für
eine Unbesonnenheit von diesen unglüklichen Thoren! - - Gebt
uns Size; kommt, mein Vetter Angelo; ich will an dieser Sache
keinen Theil nehmen; seyd ihr Richter in eurer eignen Sache.
(Isabella wird mit einer Wache weggeführt,
und Mariane tritt mit einem Schleyer bedekt auf.)
* Der Sinn dieser Rede besteht in einem Spiel mit dem Wort like,
welches der Herzog für wahrscheinlich, und Isabella für
artig oder anständig gebraucht; denn es hat beyde Bedeutungen.
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