Achte Scene.
Angelo (allein.)
Von dir? Von deiner Tugend selbst? Was ist das? Was ist das?
Ist es deine Schuld oder meine? Wer sündiget am meisten,
der Versucher, oder der Versuchte? Nicht sie, denn sie denkt nur
nicht daran mich versuchen zu wollen; ich bin es, der neben dem
Veilchen in der Sonne ligend, gleich einem Aaß, nicht wie
die Blume, von der holden Frühlings-Wärme faule. Ists
möglich, daß die Sittsamkeit eines Weibes unsern Sinnen
gefährlicher seyn soll, als ihre Schlüpfrigkeit? Sollen
wir, da wir genug unnüzen Boden haben, einen Tempel niederreissen,
um unsre Laster hinein zu steken? - - O pfui, pfui, pfui! Was
thust du, oder was bist du, Angelo? O laß ihren Bruder leben:
Diebe haben Entschuldigung für ihre Räubereyen, wenn
die Richter selbst stehlen. Wie? lieb ich sie, daß ich so
begierig bin, sie wieder zu hören, und mich an ihren Augen
zu weiden? Was war diß was ich träumte? O! listiger
Teufel, der, um Heilige zu fangen, eine Heilige an deinen Angel
stekst! Die gefährlichste Versuchung ist, die uns durch die
Liebe zur Tugend zur Sünde reizt. Nimmermehr könnt ein
feiles Weibsbild, mit aller ihrer verdoppelten Stärke, mit
allen Reizungen der Natur und Kunst, meine Sinnen nur einen Augenblik
aufrührisch machen; aber dieses tugendhafte Mädchen
überwältiget mich ganz, mich, der bis auf diesen Augenblik,
wenn ich von verliebten Mannsleuten hörte, lächelte,
und nicht begreiffen konnte, wie sie es seyn könnten.
(Geht ab.)
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