Siebende Scene.
Ein Bote zu den Vorigen.
Herzog.
Dieses ist einer von Sr. Gnaden Bedienten.
Kerkermeister.
Und hier kommt Claudios Begnadigung.
Bote.
Mein Gnädiger Herr überschikt euch diesen schriftlichen
Befehl, und durch mich diesen mündlichen Zusaz, daß
ihr nicht von dem kleinsten Theil desselben abweichen sollt, weder
was die Zeit, noch die andern Umstände betrift. Guten Morgen,
denn ich denke, es ist beynahe Tag.
Kerkermeister.
Ich werde gehorchen.
(Der Bote geht.)
Herzog (für sich.)
Diß ist seine Begnadigung; Angelo findet billig eine
Sünde zu vergeben die er selbst begeht - - Nun, mein Herr,
was habt ihr Neues?
Kerkermeister.
Was ich euch sagte; Angelo, der mich vermuthlich für nachläßig
in meinem Dienst ansieht, erwekt mich durch dieses ungewöhnliche
Betreiben; ich begreiffe nicht was es zu bedeuten hat; denn er
hat es noch niemals so gemacht.
Herzog.
Ich bitte euch, laßt mich's hören.
Der Kerkermeister lißt den Befehl.
»Alles was ihr auch diesem meinem Befehl widersprechendes
hören möget, ungeachtet, lasset den Claudio morgen um
vier Uhr hinrichten, und des Nachmittags den Bernardin; und zu
meiner bessern Versicherung sorget dafür, daß mir der
Kopf des Claudio um fünf Uhr zugeschikt werde. Laßt
dieses gehörig vollzogen werden, und beobachtet hierinn eine
noch grössere Sorgfalt als wir euch anbefohlen. Eure eigne
Gefahr soll uns für die Ausübung eurer Pflicht Bürge
seyn.« Was sagt ihr hiezu, mein Herr?
Herzog.
Wer ist dieser Bernardin, der Nachmittags hingerichtet werden
soll?
Kerkermeister.
Ein gebohrner Zigeuner, der aber hier zu Lande erzogen worden,
und schon neun Jahre gefangen ligt.
Herzog.
Wie kam es, daß der abwesende Herzog ihn nicht entweder
in Freyheit sezte, oder hinrichten ließ? Ich hörte,
es sey allezeit sein Gebrauch gewesen, es so zu machen.
Kerkermeister.
Seine Freunde würkten immer einen Aufschub nach dem andern
aus; und in der That, kam sein Verbrechen, bis izo in der Regierung
des Freyherrn Angelo, zu keinem vollständigen Beweis.
Herzog.
Es ist also nun erwiesen?
Kerkermeister.
Vollkommen erwiesen, und von ihm selbst nicht geläugnet.
Herzog.
Wie hat er sich im Gefängniß aufgeführt? Scheint
er gerührt zu seyn?
Kerkermeister.
Er ist ein Mann, der sich nicht mehr vor dem Tod fürchtet,
als vor einem trunknen Schlaf; ohne Reue, ohne Kummer und ohne
Furcht vor irgend etwas Vergangnem, Gegenwärtigen oder Zukünftigen,
unempfindlich gegen die Unsterblichkeit, und auf eine viehische
Art sterblich.
Herzog.
Es mangelt ihm an Unterricht.
Kerkermeister.
Er nimmt keinen an; er hat im Gefängniß allezeit viel
Freyheit gehabt; man könnte ihm erlauben, zu entwischen,
ohne daß er es thun würde; er ist die meiste Zeit vom
Tag, und oft ganze Tage hintereinander betrunken. Wir haben ihn
oft aufgewekt, als ob wir ihn zur Hinrichtung führen wollten,
und ihm alle Zurüstungen dazu gezeigt, ohne daß es
ihn im mindesten bewegt hat.
Herzog.
Hernach ein mehrers von ihm. Kerkermeister, Redlichkeit und Standhaftigkeit
sind auf eure Stirne geschrieben; wenn ich nicht recht lese, so
betrügt mich eine Kunst, in der ich einige Erfahrenheit habe.
Ich will mich selbst auf diese gute Meynung hin wagen. Claudio,
zu dessen Hinrichtung ihr hier einen Befehl habt, ist kein grösserer
Sünder gegen das Gesez als Angelo, der ihn verurtheilt hat.
Um euch hievon durch eine augenscheinliche Probe zu überzeugen,
verlange ich nur vier Tage Zeit; für welche ich euch um eine
eben so verbindliche als gefährliche Gefälligkeit ersuche.
Kerkermeister.
Und worinn besteht sie, ich bitte euch.
Herzog.
Den Tod des Claudio aufzuschieben.
Kerkermeister.
Aber wie kan ichs, da mir die Stunde vorgeschrieben, und der ausdrükliche
Befehl bey angedrohter Straffe gegeben ist, sein Haupt dem Angelo
vor Augen zu bringen? Die Ueberschreitung des kleinsten Umstands
könnte mir das Schiksal des Claudio zuziehen.
Herzog.
Bey meinem Ordens-Gelübde, ich steh euch für alles,
wenn ihr meinem Rath Gehör geben wollt. Laßt diesen
Bernardin morgen hingerichtet werden, und schiket dem Angelo seinen
Kopf statt Claudios.
Kerkermeister.
Angelo hat beyde gesehen, und wird den Betrug entdeken.
Herzog.
O! besorget das nicht, der Tod ist ein Meister im Verstellen,
und ihr könnt ihm noch helfen, die Unkenntlichkeit vollkommen
zu machen; scheert ihm den Kopf glatt und den Bart weg, und sagt,
der arme Sünder hab' es vor seinem Ende so haben wollen;
ihr wißt, daß es gewöhnlich ist. Wenn ihr irgend
etwas anders davon haben werdet, als Dank und gutes Glük,
so will ich, bey dem Heiligen, von dessen Familie ich bin, es
mit meinem Leben von euch abwenden.
Kerkermeister.
Verzeihet mir, mein guter Vater, es ist wider meinen Eid.
Herzog.
Habt ihr dem Herzog geschworen, oder seinem Stadthalter?
Kerkermeister.
Dem Herzog, und allen die seine Stelle vertreten würden.
Herzog.
Wollt ihr glauben, daß ihr euch nicht vergehet, wenn der
Herzog diese Handlung billiget?
Kerkermeister.
Wie kan er das, da er abwesend ist?
Herzog.
Er kan es, weil er es würklich thut; da ich sehe daß
ihr so furchtsam seyd, daß weder mein Habit, noch meine
Redlichkeit, noch meine Ueberredung euch bewegen können,
so will ich weiter gehen, als ich im Sinn hatte, um alle Furcht
in euch auszureuten. Sehet, mein Herr, hier ist des Herzogs Hand
und Sigel; ihr kennt ohne Zweifel seine Hand, und das Signet wird
euch auch nicht fremde seyn.
Kerkermeister.
Ich erkenne beydes.
Herzog.
Der Inhalt dieses Briefs ist die Wiederkunft des Herzogs. Ihr
sollt ihn hernach bey Musse ganz durchlesen, ihr werdet finden,
daß er binnen diesen zween Tagen hier seyn wird. Diß
ist ein Umstand, den Angelo nicht weiß, denn diesen heutigen
Tag erhält er Briefe von seltsamem Inhalt; vielleicht von
des Herzogs Tod; vielleicht daß er in ein Kloster gegangen
sey; aber, zum Glük, nichts von dem was hier geschrieben
ist. Seht, der Morgen bricht schon an. Hänget der Verwundrung
nicht nach, wie diese Dinge zugehen; alle Schwierigkeiten sind
nur leicht, wenn man sie kennt. Ruft euern Nachrichter, und weg
mit Bernardins Kopf; ich will sogleich seine Beichte hören,
und ihm dann an einen bessern Ort Anweisung geben. Ich sehe daß
ihr noch erstaunt seyd, aber dieses hier muß euch schlechterdings
zum Entschluß bringen. Kommt mit mir, es ist schon beynahe
heitrer Tag.
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