Re: Ist Romeo und Julia eine Tragödie oder eine romantische Komödie??


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Geschrieben von Andreas am 31. Oktober 2000 12:18:43:

Als Antwort auf: Ist Romeo und Julia eine Tragödie oder eine romantische Komödie?? geschrieben von Silvia Binder am 30. Oktober 2000 17:17:27:

Hallo,

ich gebe Jürgen nur bedingt recht, aber nur weil er das aristotelische Tragödienumster anlegt.

Romeo und Julia ist eigentlich eine Tragödie und eine Volkstheaterkomödie.
Die romantische Komödie scheidet aus, da die Komikelemente eher derb angelegt sind, und daher von unseren Romantikern (allen voran Wieland, Schlegel/Tieck und Baudussin) stark gekürzt wurden, dodaß uns nur die Tragödie bekannt war.

Als Grundmuster kann man beinahe eine Zweiteilung ansetzen. Die Szenen bis zu Mercutios und Tybalts Tod sind beinahe fast alle Komödienszenen. Besonders die Szenen der Jungen bestechen durch sehr derben Sprachwitz. Romeo bietet in seinem Liebesleid zu Beginn wunderbare Persiflagen auf die damalige beliebte italienische Sonettdichtung, mit anderen Worten der Held spricht in langweiligen Zitaten. Daher auch die wunderbaren Verwechslungen in der "Balkonszene" (obwohl es diesen Blakon im Stück gar nicht gibt, sondern es ist der Garten der Capulets), wo Romeo und Julia große Schwierigkeiten haben ihre Liebe zu gestehen, und dabei folgen sie beinahe klassischer Konversationskommödie. Die Amme und Pater Lorenzo sind zunächst eindeutig Buffo/Komiker Rollen, pater Lorenzo spricht zum Beispiel als einzige Person nur in Reimform und zwar nach dem Muster Argument/Gegenargument, eine philosophische Redeweise die beinahe langweilig wird und eigentlich nie zu einer Entscheidung führt.

Die "Jungsszenen" sind derbe, schnell und voller Wortspielereien im besten shakespearchen Stil. Mercutio ist eine perfekte Komödiantenrolle, allein seine "Königin Mab" Erzählung.

Last not least bietet das Stück bis zum Tod Tybalts beste Elemente des Volkstheaters: derbe Späße der Jugend, Kämpfe, keifende Dienerschaften, ein trotteliger Verliebter (Graf Paris), einen Maskenball, ein Liebespaar mit Schwierigkeiten, das von den skurrilen Alten (Lorenzo/Amme) unterstützt wird.

Dann beginnt das Stück zu kippen und alle bisherigen Elemente der Komik werden zur Tragödie verwand:

Mercutio stirbt beinahe aus versehen - da er Tybalt als Fechter nicht ernst nahm und Romeo dazwischen ging. Romeo tötet Tybalt im Affekt und alles ist dahin.

Nun wandeln sich auch die Charaktere hin zum tragischen. Die skurrilen Alten versuchen zwar weiter zu helfen, ihr Unvermögen wird aber immer ersichtlicher. Lorenzo kann sich nicht für eine List entscheiden, er erfindet drei Wege um das Glück der Liebenden zu retten und scheitert an allem. Die Amme scheitert in ihrer Liebe zu Julia und verrät sie, indem sie Julia rät Romeo zu vergessen. Diese "Alte", die für ihr Julchen nur das beste will, erkennt nicht die große Liebe; der Verrat der Amme ist auch der Anlass, weshalb Julia verzweifelt vor Lorenzo Selbstmord begehen will.

Graf Paris, der verliebte Trottel, wird immer mehr zur direkten Bedrohung. Seine Einfältigkeit noch beim Trauerbesuch um Julias Hand anzuhalten ist schlichtweg einfältig und debil, oder aber grausam genial. Paris erscheint nun im Stück immer wieder an den wichtigen Entscheidungspunkten. Insbesondere sein Aufgebot bei Lorenzo, als Julia voller Selbstmordgedanken erscheint ist hierbei maßgebendes Beispiel.

Das Tempo, die Schnelligkeit des ersten Teils, welcher zur Unterhaltung diente, ist von nun an der Hauptgegenspieler der Liebenden. Beiden bleibt keine Zeit zu denken oder überlegt zu handeln.

Romeo kommt von der Blitzhochzeit (merke abends/Sonntag lernte er Julia kennen, um 9.00 Uhr/Montags kommt die Amme und er überbringt die Hochzeitsnachricht, zwei-drei Stunden später sind sie bereits verheiratet) direkt in das Gefecht zwischen Mercutio und Tybalt, nach dem Mord flieht er zu Lorenzo, danach die einzige Liebesnacht mit Julia, am nächsten Morgen nach Mantua, in derselben Nacht erscheint bereits Paris um die Hochzeit mit Julia zu fordern, Julias Eltern legen dies bereits auf drei Tage später fest. Romeo ist gerade fort und die neue Hochzeit wird bestimmt Dienstag morgens, am Nachmittag treffen Julia und Paris bei Lorenzo zusammen, Julia erhält ihr Gift (für Mittwoch Nacht) und Lorenzo muss nun, Dienstag abends versuchen Romeo in Mantua zu warnen. Mittwoch Nachts vergiftet sich Julia und Donnerstag morgens wird sie gefunden ...

Shakespeare lässt keiner Figur Zeit zum Handeln, oder zum ruhigen Überlegen. Zeit bestimmt die Tragödie, wie sie vorher die Komödie bestimmt.

Man kann beinahe feststellen das er alles umdeutet. Was zu Beginn liebenswert war, führt nun zur Katastrophe. Als Zuschauer liebt man die skurilen Alten und wird nun blass vor Entsetzen vor ihrem Unvermögen zu helfen, Paris ist kein Geck mehr, sondern wird zur einzigen Bedrohung, ihn den niemand ernst nahm. Man kann sich bei Paris noch streiten ob dies ihm zufällig passiert, oder ob er als der einzige Hochadlige, bewusst den Zeitpunkt auswählt um Julia zu heiraten, in dem die gesamte Familie durch die Trauer um Tybalt in ihrer Entscheidung gelähmt ist.

An dieser Stelle sei Euch noch empfohlen das die alten Schlegel/Tieck übersetzungen leider stark gereinigt sind. In ihrer Übersetzung ist Romeo und Julia stark romantisiert, die derben Wortspiele, die Unterscheidungen in der Sprache (Lyrik/Prosa/Reimschemen) sind nicht berücksichtigt. Arbeitet also besser am Original oder an der DTV Übersetzung von Franck Günther.

Last not least, hat man herausgefunden das R+J das Stück mit den meisten Zoten ist, und unsere prüden amerikanischen Freunde, heute noch R+J nur als zensierte Fassung kennen.

Liebe Grüße,
Andreas




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