Re: Komödie / Tragödie ?


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Geschrieben von Andreas am 01. November 2000 13:39:45:

Als Antwort auf: Re: Komödie / Tragödie ? geschrieben von Jürgen M. Brandtner am 31. Oktober 2000 17:46:05:

Hallo Jürgen,

danke für die Anmerkungen, nur damit wir uns nicht missverstehen. Die Genres und zeitlichen Einteilungen sind nicht unbedingt mein Hauptfach, geschweige denn mein Faibel, ich halte mich dann eher an die direkte Theaterarbeit.

Bzgl. des Volkstheaters, oder besser gesagt des Volkstheatergedanken:
Sicher, diese Defintion ist schwierig, zumal heutzutage jeder sofort an Steiner und Co denkt, aber das ist das Volkstümliche Theater (sozusagen die ländliche Ausgabe der Boulevardkommödie), aber wenn wir davon ausgehen müssen, das zu Beginn des elisabethanischen Theaters, die Vorbilder entweder die antiken Komödien/Tragödien waren, sowie die italienische und französische Commedia Dell Arte, können wir uns erstmal nicht auf die deutschen Volkstheatertraditionen , Fastnachtspossen und Mysterienspiele beziehen. a) war der deutsche Theatereinfluss auf England mehr als nur gering, b) liegen sie meines Erachtens nach relativ zeitgleich.

Da also Shakepseare sich zunächst relativ klar an die Vorlagen seiner Zeit hielt, so kehrt er sie in der Folgezeit jedoch radikal um.

Von daher entstanden für mich diese Mischformen, die ich als Volkstheater bezeichne. Sicherlich nicht wissenschaftlich, aber eine für die Praxis passende Umschreibung seines Ansatzes. Er ist zielgruppenorientiert - als wirtschaftliches Unternehmen muss das Globe ausverkauft sein und zwar vor allen durch die unteren Schichten, die allerdings zu anfang lieber eine Bärenhatz vorzogen, als ein Theaterstück und zeitgleich muss er dem Adel, dem Hof und vorallem der Zensur gefallen. Daher gibt es auch nur sehr versteckte Kritiken und Anzüglichkeiten (wenn sie auch sehr derbe ausfallen), daher auch die Abgrenzung der Commedia Dell Arte, welche beinahe Narrenfreiheit besass ...

Zu deinen Anmerkungen zu den "Jungsszenen" - dies gibt es natürlich in fast allen Tragödien udn Kommödien, ebenso die Bufforollen (man denke nur an den Pförtner in Macbeth, den Bauern in Antonius und Cleopatra, die Totengräber in Hamlet), aber, in R+J sind sie grundlegend anders gesetzt.

R+J ist desewegen nicht Fleisch und nicht Fisch weil der gute William hier beide Genres in einem Stück vereint hat. Er folgt zunächst der Kommödienstruktur, in der es zwar auch Leid und Probleme gibt, Spannung muss ja sein, aber dennoch das finale tragische Ende nicht zwangsläufig vorgesehen ist. In R+J kann es bis zur Gruftszene immer noch gut ausgehen.
Er lässt das Stück aber plötzlich umschlagen und deutet alle seine gelegten handlungsabläufe und Rollencharakterisierungen um. Was vorher belustigend war, führt jetzt zur tragischen Katastrophe, ohne das sich eine Figur plötzlich in ihren Grundzügen verändert. Und das ist das besondere an R+J.

In diesem Sinne ist es einigermaßen mit "Viel Lärm um Nichts" vergleichbar, wo er die nebenhandlung Hero+Claudio von der Liebesromnze in die Tragödie kippen lässt, er aber dennoch (geradezu haarsträubend) zum fröhlichen Happy Ende findet. Außerdem hält er hierbei den Kommödienpart von Benedikt+Beatrice das ganze Stück über bei. Nimmt man den Bruch in der "Kirchenszene" jedoch sehr ernst und spielt es stringent durch mit allen Mitteln der Tragödie, wird es für ein Publikum unbehaglich und äußerst spannend. In R+J hat er jedoch seine Meisterschaft gefunden.

Mercutio als Narr, stimmt sicherlich teilweise, aber in seiner Kommentator Rolle ist er nicht so eindeutig wie alle anderen Narrenfiguren, aber er ist sicherlich der erste Kommentator des Stückes und nur Lorenzo kommt noch an ihn heran, dieser allerdings eher als Begleiter des Chores, und wird bedingt durch seine Versstruktur.

Meiner Meinung nach ist R+J eigentlich eine Verlegensheitarbeit von Shakespeare. Er datiert das Stück selbst in die Nähe des Johannistages, und es entstand nach dem Sommernachtstraum (einer klaren Auftragsarbeit). Es scheint als hätte er überstürzt eine erneute Auftragsarbeit zu Johannis nach dem Sommernachtstraum annehmen müssen (sei es wegen des Erfolges oder aus unglücklichen Umständen innerhalb der zweiten königlichen Truppe).
Außerdem fehlen die typischen Burbage/Kempe Rollen und das gesamt Ensemble ist erschreckend Jugendlich gehalten. Naja, mehr dazu falls es Dich interessiert (aber vorsicht ! ich schmeiss garantiert wieder einiges durcheinander).

Liebe Grüße,

Andreas




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