Re: DRINGENDE INTERPRTATION VON DER BALKONSZENE (2.Akt, 2. Szene-Romeo und Julia)


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Geschrieben von Loni am 17. Mai 2002 03:49:24:

Als Antwort auf: Re: DRINGENDE INTERPRTATION VON DER BALKONSZENE (2.Akt, 2. Szene-Romeo und Julia) geschrieben von Nele am 14. Mai 2002 10:53:37:

Ich möchte dir zustimmen und widersprechen.

Zustimmen: Eine befreundete Deutschlehrerin hat mir erzählt, daß der Vater eines ihrer etwas unterbelichteteren Schüler ihr hat ausrichten lassen, er sei immerhin Chefarzt des Krankenhauses geworden und hätte noch nie im Leben 'Kabale und Liebe' gebraucht. Woraus man entnehmen kann, daß auch akademische Weihen und soziale Berufsanerkennung keine Versicherung gegen Verbl<ö>dung sind. Die armen Patienten! - nicht, weil Kabale und Liebe unabdingbar zur Diagnose einer Appendizitis wäre, sondern weil ein sich derart borniert äußernder Geistesprolet schon mal kein guter Arzt sein kann - da verlangt sein Beruf eigentlich mehr an menschlicher Einsichtsfähigkeit. Nur weiß er das nicht. Der Chefarzt unterscheidet sich im Niveau hier nicht von einem Kanalreiniger. Derartige technokratische Karriere- und Selbstvermarktungsstrategien enden im absoluten Banausentum und damit in der Selbstzerstörung dessen, wofür sie eigentlich antreten. Nur merken sie's gar nicht. Der übliche Schülerkommentar "Wozu brauch ich den Scheiß, ich will in Pappis Praxis reicher Zahnarzt werden und nicht dümmlicher Deutschlehrer" gründen in einem solchen nur strategischen Nützlichkeitsdenken. Es wäre angesichts der derzeitigen Mentalität vielleicht sinnvoll, den Schülern zu empfehlen, sich spätestens im Alter von zehn Jahren endgültig für einen Beruf zu entscheiden (Arzt, Zahnarzt, Rechtsanwalt, Unternehmer, BWL, etc.) und konsequent alles zu meiden, was zur Erreichung dieses Ziels im harten Konkurrenzkampf nicht notwendig ist: der zehnjährige Jurist könnte konsequent Biologie, Erdkunde, Physik, Chemie und Geschichte abwählen, weil er ja bestenfalls Mathematik braucht zur Abrechnung der Honorare; der BWLer braucht nur Mathematik und Erdkunde (wegen Analyse der Absatzmärkte), der elfjährige Arzt braucht Bio und Physik, aber auf keinen Fall Erdkunde, weil der menschliche Organismus überall gleich ist (meint er) - und sowas wie geschichtliches, kulturelles und sprachliches Wissen brauchen sie alle nicht. "Braucht" man ja nicht, den Scheiß. Die Schulzeit könnte auf maximal 5 Jahre verkürzt werden, direkt nach Erlernung von Lesen, Schreiben und vier Grundrechenarten könnte sich ein sofortiger Fachtrainingsdrill zur effizienten Erlernung berufspezifischer Techniken anschließen.
Die Schülerlein können sicher nichts dafür - so ist der Gang der Welt, die Alten (Chefarzt!) machen's vor, da machen sie's nach, nur konsequenter. Richtig. (Und sie merken gar nicht, welcher angebotene Luxus und welcher Reichtum ihnen entgeht - daß man sich mit Dingen beschäftigen kann, soll und darf, die NICHT sofort in kommerzielle Verwertbarkeitskategorien einzuordnen sind - aber wer möchte denn heute schon als NICHT VERWERTBAR etikettiert werden, wär ja selbstmörderisch...)

Widersprechen:
Das klingt alles ganz toll, was Du da analysierst, und ist auch sicher irgendwie richtig. Das Abendland geht nicht unter, nein, es prosperiert immer irgendwie weiter. Aber der Markt und das Marktkonforme ist mit dem Stichwort "Abendland" eigentlich nicht gemeint. Es scheint vielmehr so, als gingen einige der mühsam eroberten abendländischen "bürgerlichen" Ideen unter, die es wert wären, weitergetragen zu werden. Ich glaube nicht an den zwanghaften Gang der Geschichte, und ich wehre mich dagegen, daß das Individuum lediglich nicht-selbstverantwortliches Opfer seiner gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse ist, wie du es darzustellen scheinst. Aber wenn es denn doch so wäre, wenn du recht hättest, was ja durchaus sein kann - ja, das wäre aber doch dann gerade der Untergang des "Abendlandes", oder? Über den zu jammern wäre. Galy Gay schickt eine Postkarte mit schönen Grüßen.

Loni





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